Nachdem mittlerweile gut 11 Jahre vergangen sind, seitdem auf diesem Blog das letzte Mal über das Thema „Paroxetin“ gesprochen wurde (das war hier); ist es nun an der Zeit für ein Update. Ein Update, bezüglich dessen zugegebenermaßen etwas weiter ausgeholt werden wird – und, das ist besonders wichtig; bei dem keine klare Position in Richtung des ein oder anderen eher festgefahrenen Lagers eingenommen werden wird. Anders gesagt: der Autor des folgendes Textes ist weder ein ebenso ahnungsloser wie irgendwie von der Pharma-Industrie profitierender Akteur (wie heutzutage leider ein Großteil der praktizierenden Ärzte), noch ein Pharma- oder speziell Psychopharmaka-Gegner.
Allerdings muss an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass es sich bei diesen Ausführungen lediglich um die Erfahrung eines einzelnen Patienten handelt – und dass die in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen keine allgemeine Gültigkeit haben. Vielleicht aber gibt es Parallelen zu den Geschichten anderer irgendwie betroffener oder involvierter – sodass Berichte wie dieser doch noch zu etwas gut sind oder sein können.
Beginnen wir also mit dem Stichwort der verschiedenen Lager – und meiner persönlichen Position. Zwar habe ich mir vorgenommen, keine klare Stellung zu beziehen; zumal ein so komplexes Thema wie dieses das auch nicht unbedingt ermöglichen sollte – was einige dennoch nicht davon abhält, sich recht schnell zu entscheiden – und dennoch muss ich vorab eine eventuell etwas provozierende Feststellung treffen. Diese lautet wie folgt:
Das Medikament „Paroxetin“ hat mir nicht nur geholfen, sondern mein Leben gerettet. Genauer gesagt: 10 Jahre meines Lebens.
Natürlich, eine solche Aussage sollte man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, weshalb für alle interessierten auch eine etwas genauere Erläuterung folgt. Die eigentliche Grunderkrankung, respektive den Grund für den Beginn der Medikamenteneinnahme möchte ich dabei weitestgehend außen vor lassen (ich offenbare zwar viel persönliches, aber auch nicht alles; zumindest nicht im Detail) – es reicht zu wissen, dass die Indikation einer bzw. mehreren jener entspricht, an die sich das Medikament laut Beipackzettel auch adressiert. Fest steht auch, dass es sich keineswegs um eine „leichte“ Form der Erkrankung oder rein hypochondrische Züge gehandelt hat – es war (und ist) etwas los im Kopf respektive Gehirn, und neben einer grundsätzlich obligatorischen psychotherapeutischen Herangehensweise sollten oder mussten die Probleme eben auch medikamentös angegangen werden.
Und, deshalb der relative Lobes-Schwall zu Beginn – das hat auch geklappt. Natürlich ist es schwer zu sagen, ob Paroxetin als SSRI (selektiver Serotonin Wiederaufnahme-Hemmer) tatsächlich einer Mangelerscheinung im zentralen Nervensystem entgegengewirkt hat – oder ob der Effekt nicht doch aus einem anderen Grund entstanden ist. Einen rein gedanklichen, von der eigenen Willens-Stärke getriebenen (was der Wirkungsweise eines Placebos entsprechen sollte) schließe ich hier allerdings aus – dafür ging es schlicht viel zu lange gut. Genauer gesagt, und zunächst für ganze 5 Jahre – bis die anfängliche Dosis von 20mg täglich nicht mehr auszureichen schien. Auch hier stellt sich natürlich die Frage nach dem warum, oder eher nach dem warum jetzt – schließlich haben sich keine merklichen Veränderungen in meinem Lebensstil oder der grundlegenden, sicherlich nicht immer leichten (das definiert ohnehin ein jeder anders) Situation ergeben. Sei es drum, und auch wenn ich es nicht wirklich für möglich gehalten hätte: eine Erhöhung der Dosis auf 40mg täglich brachte erneut den gewünschten Effekt, und zwar für weitere 5 Jahre (keine exakte Dauer, eher eine vereinfachte Schätzung). Allein deshalb kann ich sagen: Paroxetin hat mir geholfen, absolut – und zwar indem es mir 10 weitestgehend beschwerdefreie Jahre ermöglichte. Weitestgehend in Bezug auf die Feststellung, dass Krankheiten wie Depression oder Angststörungen enorm vielschichtige Symptome haben können – und die Unterscheidung bzw. Klassifizierung einstweilen schwerfallen kann. Dennoch: die Grund-Symptome der Krankheit, die ja auch ursprünglich zum Start der Medikamenten-Einnahme führten; waren verschwunden. Was genau das Medikament bei mir bewirkt hat, sieht man im folgenden:
Paroxetin verhinderte… |
– eine allgemeine Antriebslosigkeit – eine allgemeine Niedergeschlagenheit – ein übermäßiges Angstgefühl – Panikattacken – Alpträume |
Paroxetin sorgte vor allem für… |
– einen problemlosen und erholsamen Schlaf – tendenziell geordnetere, klarere Gedanken – ein Gefühl der allgemeinen Gesundheit |
Paroxetin hatte folgende Nebenwirkungen: |
– Verringerung der Libido (deutlich) – Heißhunger-Attacken (gelegentlich) – Gewichtszunahme (deutlich bzw. ca. 25 Kilo, aber in einem langen Zeitraum) – Ausbleiben von wirklichen Glücksgefühlen (tendenziell) – Entstehung einer Wetterfühligkeit (könnte andere Gründe haben) |
Wie angenehm eine Zeit wie diese sein kann, merkt man meist entweder im Vergleich zur Zeit davor – oder bis sich plötzlich doch wieder Symptome bemerkbar machen. Genau das ist auch bei mir passiert, nach den besagten 10 Jahren der kontinuierlichen Einnahme von Paroxetin. Einer Zeit, in der mir – um die Bedeutung noch einmal festzuhalten – selbst ein schwerer persönlicher Schicksalsschlag nichts anhaben konnte. Nicht anhaben im Sinne einer zusätzlichen (pathologischen) Reaktionen über die „normale“ Trauer (auch die ist schwer zu definieren) und Bewältigungs-Prozesse hinaus, versteht sich.
Dabei handelte es sich um einen langsamen und eher schleichenden Prozess – es begann mit einigen kleineren Symptomen, und steigerte sich immer weiter. Natürlich ist es höchst spannend herausfinden zu wollen, warum genau das so gewesen sein könnte – doch keineswegs sollte man dabei auf den Rat oder eine tatsächliche Hilfe von Ärzten hoffen. Zumindest nicht im Regelfall, denn: die meisten scheinen weniger über die Thematik und gerade die Funktionsweise von Psychopharmaka zu wissen als manche Patienten selbst. Oder aber sie kennen die Theorie – wollen sich im Sinne einer möglichst einfachen Behandlung aber nicht allzu intensiv mit Einzelfällen beschäftigen. Unter anderem ist das auch der Grund, warum die meisten, ja wenn nicht gar alle Psychopharmaka im Sinne eines pauschalen Versuchs verschrieben werden. Man weiß also nicht, ob beim Patienten tatsächlich diese oder jene Mangelerscheinung vorliegt (wie bei einem SSRI ein Mangel an Serotonin im synaptischen Spalt) – man wird es aber im Nachgang (und bei entsprechender Rückmeldung) erfahren. Wenn es dann (und im besten Fall) geholfen hat, kann man sich wiederum auf die Schulter klopfen – und (im schlimmsten Fall) behaupten, man hätte dies genau so erwartet.
Das Problem sind die fehlenden Möglichkeiten, etwaige Mängel auch tatsächlich feststellen zu können – als beispielsweise durch spezielle bildgebende Verfahren oder auch Dinge wie so gut wie nie in Praxis-bezogenen Behandlungen durchgeführte Messungen der Plasma-Konzentration von Wirkstoffen im Liqor. Wobei selbst die keinen endgültigen Aufschluss darüber geben können, ob und wie ein Medikament in einem individuellen Fall wirkt. Deshalb, und so lange sich die Wissenschaft nicht auch in diesem Gebiet weiterentwickelt; wird es auch in Zukunft in Beipackzetteln der meisten Psychopharmaka heißen: „man weiß nicht genau…“ „es ist nicht ganz sicher, aber…“ „wahrscheinlich wirkt Medikament X so….“ – was eigentlich eine Frechheit für sich ist. Oder eher ein Zeichen von Unsicherheit und Nicht-Wissen – dem natürlich auch die behandelnden Ärzte wenig entgegenzusetzen haben. Das erklärt, nebenbei gesagt; auch die absolut nachvollziehbare Position von eingefleischten Psychopharmaka-Gegnern.
Dennoch, und auch wenn ich selbst allen Grund dazu hätte; bezeichne ich mich selbst nicht als solchen – da ich davon ausgehe (bzw. es selbst gemerkt habe und damit relativ sicher bin), dass Medikamente wie SSRI’s eine positive Wirkung haben können. Argumente wie „das ist alles Gift“, „die Nebenwirkungen sind zu stark“, „die Absetzungssymptome sind nicht auszuhalten“ sollte man dabei mit Vorsicht genießen – wer einmal eine entsprechende Erkrankung mit entsprechenden Symptomen durchgemacht hat, greift ohnehin zu jedem verfügbaren Mittel – und sollte deshalb nicht verurteilt werden. Und wenn es dann auch noch tatsächlich hilft – umso besser. Nur leider, und das ist durchaus ein Fakt; wird das nicht für jeden so gelten. Und ja; Nebenwirkungen und Absetzungserscheinungen können auftreten (siehe Beipackzettel oder die Tabelle weiter oben) – doch sind diese meist weitaus „angenehmer“ als die eigentlichen Symptome der Krankheit. Wenn, ja wenn sie denn auch so vorhanden und ausgeprägt ist, was automatisch bedeutet: wer keine wirklich ernsthaften Symptome hat, sollte nicht gleich zu Psychopharmaka greifen.
Und damit zurück zu Paroxetin und dessen Wirkung bzw. verlorengegangenen Wirkung nach immerhin 10 Jahren. Ich glaube nach wie vor, dass das Medikament etwas im Gehirn und ZNS „gemacht“ hat – etwas, das weit über einen Placebo-Effekt hinausgeht und tatsächlich weitaus mehr positive als negative Effekte mit sich gebracht hat. Wenn man nur genauer verstehen könnte wie die einzelnen Mechanismen funktionieren, wäre das Problem gelöst – schließlich könnte man so auch nachvollziehen, warum ein Medikament wie dieses seine Wirkung verliert, verlieren kann. Man kann nur hoffen, dass in Zukunft weiter geforscht werden wird – was auch ich selbst tun werde, da ich nun eine neue Lösung brauche. Die ist auch schon in Arbeit, doch bis es dazu etwas wirklich nutzbares mitzuteilen gibt; heißt es wie so oft warten.