Filmkritik: „Die Rückkehr“ (2003, Andrei Zvyagintsev)

Originaltitel: Vozvrashcheniye
Regie: Andrei Zvyagintsev
Mit: Ivan Dobronravov – Vladimir Garin – Konstantin Lavronenko
Laufzeit: 105 Minuten
Land: Russland
Genre: Drama

Inhalt: Irgendwie, irgendwo, irgendwann in der russischen Ödnis… hier lebt eine offenbar alleinerziehende Mutter mit ihren beiden Söhnen Ivan (Ivan Dobronravov) und Andrey (Vladimir Garin), welche langsam aber sicher erwachsen werden. Sie treffen sich mit Freunden, bestehen die ein oder andere Mutprobe… oder eben auch nicht. Eines Tages kehrt der Vater der beiden urplötzlich zurück – doch keines der Familienmitglieder fällt ihm um den Hals, eher im Gegenteil. Die Stimmung wird immer merkwürdiger, zumal der Vater nicht erwähnt wo er gewesen war oder was er genau gemacht hat… nur eins steht fest: er muss für viele Jahre fort gewesen sein. So können sich besonders die Kinder nicht mehr an ihren eigenen Vater erinnern, sie kennen ihn nicht – und seine Frau scheint irgendetwas böses zu erahnen und reagiert ebenfalls eher ablehnend. Umso merkwürdiger erscheint es, dass der Vater nun zum ersten Mal in seinem Leben Zeit mit seinen Söhnen verbringen möchte – genauer gesagt plant er eine ungenau definierte Reise. Ivan und Andrey zeigen sich wenig begeistert, gerade der jüngere Ivan scheint rein gar nichts mit seinem Vater – für ihn ist er nur irgendein Fremder – anfangen zu können. Doch Andrey scheint im Verlauf der Reise mehr und mehr zu seinem Vater aufzuschauen, er möchte ihm helfen – aber auch er erfährt gnadenlose Rückschläge, die er selbst nicht zu begreifen vermag. Aber wie auch – der Vater verhält sich stets äusserst merkwürdig, seine wahren Intentionen bleiben schleierhaft. Wie wird diese höchst ungewöhnliche Reise am Ende ausgehen, ja hat sie überhaupt ein Ziel an dem es anzukommen gilt ?

Kritik: Die Rückkehr ist ein Fall für sich – einerseits ein waschechter Geheimtipp, wurde er bereits des öfteren im deutschen Fernsehen ausgestrahlt, und auch die deutsche DVD steht schon seit einigen Jahren in den Regalen. Oder eher nicht – denn der Film ist alles, nur nicht populär. Doch es lohnt sich dennoch, nach ihm Ausschau zu halten, das ist gewiss. Bereits kurz nach der Einführung wird der Zuschauer gefesselt, und zwar in mehrerlei Hinsicht. Zum einen ist es das interessant anmutende Szenario, die ungewöhnliche Konstellation der Figuren, und natürlich die seltsam-lückenhafte Schilderung der Geschichte. Zum anderen, und das ist vielleicht noch wichtiger, besitzt der Film eine kaum mit anderen zu vergleiche, äusserst ruhige bis poetische Erzählart; welche es dem Zuschauer kaum möglich macht sich der speziellen „Magie“ des Films zu entziehen. Nein, es gibt keine Actionszenen, keinen überschwänglichen Pathos, keine direkt und ohne Umwege zu entnehmende Aussage – und dennoch wirkt der Film niemals zu kryptisch oder gar langweilig. Die Rückkehr ist einer der (seltenen) Filme, der den Fokus explizit auf zwischenmenschliche Beziehungen legt, und dabei möglichst authentisch wirkende Szenen inszeniert – das geschieht eben auch mal, ohne dass dabei viele Worte fallen. Doch gerade das ist das Gute – denn aufgrund der geschickten und einfühlsamen Herangehensweise an das Thema merkt man als Zuschauer sofort, dass es gerade in den zuerst wenig spektakulär anmutenden Szenen geradezu brodelt – im inneren der Charaktere.

So entsteht eine unglaublich beklemmende Stimmung, aber auch eine spannungserzeugende: schließlich „giert“ man geradezu auf weitere Informationen bezüglich der Lebensgeschichte und Intention des Vaters, den man nur schwer einzuordnen vermag. Ist er einfach nur ein Fiesling, der seine Familie ohne schlechtes Gewissen zurückgelassen hat und sich nun auf eine merkwürdige Art und Weise wieder bei ihr anbiedert ? Ist er gar ein Gutmensch, der aus Gründen der Verzweifelung und weil es für ihn unausweichlich war von seinem Zuhause geflohen ist ? Fragen über Fragen, die niemals vollständig beantwortet, und schon gar nicht dem Zuschauer direkt auf die Nase gebunden werden. Dennoch scheint hinter der besonderen Reise etwas zu stecken, und wenn so will und sich des Interpretierens, Nachdenkens und Zusammensetzens einzelner Hinweis-Bruchstücke nicht verweigert, dann kann man sich am Ende doch noch einen recht schlüssigen (wenn auch nicht lückenlosen) Reim auf die Geschichte machen. Doch das bleibt jedem selbst überlassen… wichtig ist nur, dass es überhaupt möglich ist – was bei Dramen dieser Art nicht immer der Fall ist. Weiterhin legt der Film viel Wert auf die Darstellung der einzelnen Charaktere, besonders auf die der Kinder. Zuerst vermutet man zweifelsohne, dass Ivan ein eher schüchterner Junge sein müsse, und sein Bruder Andrey eher das genaue Gegenteil. Die Umkehrungen dieser anzunehmenden Charaktereigenschaften wird sich aber letztendlich als äusserst spannend und komplex erweisen.

Man sollte jedoch nicht zuviel über den weiteren Verlauf der Geschichte schreiben, da man Gefahr läuft, zuviel zu verraten.Wenngleich die Geschichte schon aussergewöhnlich ist und unheimlich spannend-poetisch inszeniert wurde, so werden auch die Hoffnungen hinsichtlich der technischen Aspekte nicht enttäuscht. Besonders markant und erwähnenswert ist die optische Wirkung im Gesamten, die sich aus dem gelungenen Zusammenspiel der großartigen Kamera-Arbeit, der intelligenten Regie und letztendlich auch den Stilmitteln (oft durch die speziellen Farbtöne) definiert. Es gibt keine hektischen Schnitte, keine übertriebenen Szenenaufbauten – dafür aber allerlei einprägsame Szenen in der Natur Russlands, im späteren Verlauf auch zumeist an einem See. Und auch die Darsteller, die hierzulande kaum jemand kennen wird, machen mehr als nur einen blossen Job. Konstantin Lavronenko spielt den Vater, und wirkt dabei äusserst versiert und genau so, wie es seine Rolle verlangt: stets undurchsichtig, beinahe unberechenbar und letztendlich doch zielstrebig. Ivan Dobronravov (bis dato sein einziger Auftritt) und Vladimir Garin sind dagegen (und in Anbetracht ihres jungen Alters) noch ein stückweit brillianter. In Bezug auf Vladimir Garin ereignete sich ausserdem ein merkwürdiger, äusserst tragischer Zwischenfall, der indirekt mit dem Entstehungsprozess des Films verknüpft ist. Er ertrank im selben See, an dem während des Films gedreht wurde ! Dies hat keinen Einfluss auf die Bewertung des Films, nur: es erscheint seltsam, und wenn man um diese Tatsache weiss; dann lässt das den Film noch wesentlich intensiver (und noch mysteriöser) wirken. Ein herzliches Beileid an dieser Stelle.

Fazit: Die Rückkehr ist ein absoluter Ausnahme-Film, der mit einer vielschichtigen, spannenden und exzellent inszenierten Geschichte daherkommt. Einen vergleichbares Werk wird man (gerade im Westen) nicht finden, und dennoch benötigt man keinerlei Vorwissen oder muss zwingend um die russische Kultur oder Historie wissen, um in den Bann dieses Films gezogen zu werden. Denn: zwischenmenschliche Beziehungen kennen keine nationalen Barrieren, wie zumeist (und im besten Fall) auch der Film nicht. Gerade dann vermag ein Film es, Ländergrenzen verschwimmen zu lassen; und uns alle daran zu erinnern wer oder was wir eigentlich alle sind – Menschen. Der Film bleibt im Gedächtnis – und sei es nur aufgrund der malerischen Landschaftsaufnahmen, den intelligenten Dialogen, den zeitlosen Leistungen der Darsteller oder dem nachdenklich stimmenden Ende. Oder, abermals im so bezeichneten besten Fall: aufgrund aller genannten Aspekte, als absolut rundes Gesamtpaket. Das ist der wahre Geist des Films !

Ein Gedanke zu “Filmkritik: „Die Rückkehr“ (2003, Andrei Zvyagintsev)

  1. PrometheusFirefly 12 Jun 2011 / 04:57

    Ich glaube ich muss mir den besprochenen Film irgendwann nochmal ansehen, habe ihn nur noch sehr schemenhaft in Erinnerung.

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